DAS LEBEN AUF DIE LEICHTEN SCHULTERN NEHMEN - über den schwebenden Kreisverkehr unseres Schultergürtels und seine Befreiung


Der Schultergürtel ist ein komplexer Verbund aus Knochen, Muskeln und Sehnen. Schon in der Ruhestellung wirken seine Richtungen in alle Dimensionen. Das nahezu unbegrenzte Potenzial seiner Bewegungsrichtungen macht klar, wie wenig wir ihm und der Beschreibung seiner idealen Platzierung mit eindimensionaler Richtungsanweisung gerecht werden können.

Es ist einer der Orte, der viel zu komplex ist, als dass wir ihn in vollem Umfang verstehen oder die genaue Beschäftigung mit ihm nervlich verkraften könnten. Er zeigt auch auf, wie vorsichtig man mit dem Konzept der „richtigen Haltung" sowohl in Bezug auf „richtig" als auch in Bezug auf "Haltung" umgehen sollte.


Muskelkraft, Schwerkraft und die Richtungen aus den Knochen und feineren Strukturen bestimmen die Stellung des Schultergürtels in Ruhestellung, wie auch in Bewegung. Alle Richtungen und Dimensionen toben sich hier aus. Es ist ein Ort, an dem immer Spannungen und Konflikte auftreten, wenn sich die verschiedenen Wirkkräfte einseitig polarisieren oder wenn das Tauziehen zu groß wird. Auch nervliche und emotionale Belastungen toben sich gerne hier aus.

Der Schultergürtel ist eine dreidimensionale, schwebende und unglaublich anpassungsfähige Schnittstelle. Zum einen wirken hier die Arme mit ihren Bewegungsmustern in den Oberkörper hinein. Andererseits schützt der Schultergürtel den oberen Brustraum sowie den Hals- und  Nackenbereich. Deshalb ist die Schulterstellung aufgrund der emotionalen Grundhaltungen, die sich hier ausdrücken, auch immer einerseits Spiegel des Selbstverständnisses, mit dem wir im Leben wirken, geben und zugreifen. Andererseits drückt sich hier auch das Ausmaß an Sicherheit oder Unsicherheit aus, das wir fühlen und folglich auch, mit wieviel Offenheit wir den Lebenssituationen begegnen.

Aufgrund der hohen Beweglichkeit von Schulterblättern und Schlüsselbein ist es oft herausfordernd, eindeutige Referenzen für die optimale Schulterstellung zu finden.

Neben dem starken Bezug zu den Armen hat der Schultergürtel auch die direkte Anbindung an den Brustkorb. Darüber hinaus ist er muskulär direkt mit der Kehlkopf-Aufhängung und dem Kopf verbunden. 


Deshalb hat die Freiheit des Schultergürtels auch so starken Einfluss auf die Qualität und Ausdauer unserer Stimme.


Das Spektrum des Zulassens von Vorwärts- und Rückwärts-Neigung des Schultergürtels hat Einfluss auf die Höhe der Schulterstellung und offenbart ein Spektrum der Entspannung, genauso, wie das Zulassen des nach Außen und nach Innen Fallens, dass Einfluss auf die Weite zwischen den Schultern hat. 


Darüber hinaus gibt es durch die Möglichkeit der Knochenrotationen von Schulterblatt, Schlüsselbeinen und Brustbein unendlich viele Möglichkeiten, wie sich auch die Schulterblätter heben und senken und im Verhältnis zu der jeweiligen Brustkorbseite rotieren lassen möchten.

Je nachdem, wie gut abgestimmt diesbezüglich die Stellung des Schultergürtels gerade ist, kann auch die optimale Positionierung zwischen oben und unten stattfinden.


Den Schultergürtel zu befreien, um eine optimale Situation über dem oberen Brustkorb zu ermöglichen, ist eines der interessanten Ziele in der Kultivierung eines gut funktionierenden Körperbewusstseins. Die Verbindungs- und Auftriebs-Impulse, die der Schultergürtel für die Aktualisierung seiner Stellung von den Armknochen bekommt, helfen dabei zu erinnern, dass sowohl der Brustkorb als auch die Wirbelsäule frei, selbstständig und unabhängig von den Aktivitäten der Arme und Hände ausgerichtet sein können.


Wenn der Schultergürtel übermäßig nach vorne unten rotiert und gezogen wird, schiebt sich die obere Brustwirbelsäule mehr in den Rücken als notwendig, wodurch ein energetischer Stau produziert wird und sich der Nacken verkürzt. Wird das Schulterblatt zu sehr nach hinten gezogen, verschließt sich der Rücken und Brustbein und Brustkorb verlieren die Anbindung an die Wirbelsäule.

Das unbewusste Runterziehen in den Armen bewirkt oft, dass die gesamte Schulterpartie auf den oberen Brustkorb drückt und lastet und negative Folgen für den Atem und den Nacken erzeugt.


Dem Schultergürtel andererseits zu erlauben, von den Armen gestützt über den Brustkorb schwebend und gleitend sowie um die Brustwirbelsäule herum zu gleiten und zu rotieren, schafft optimale Bedingungen für unseren Atem, unseren Hals-Nacken-Bereich und unseren gesamten Rücken. Die Bewegungskoordination verbessert sich auf diese Weise besonders beim Gehen, Laufen, Schwimmen und allen Vorgängen, die eines Höchstmaßes an Koordination von Becken und Schultergürtel bedürfen.


Die Aufmerksamkeit auf die Empfänglichkeit der Schultergelenke für die Bewegung und Auftriebsimpulse der Arme zu entwickeln, schafft eine konstante Aktualisierung und Optimierung der Schulterstellung.


Das Bewusstsein für diese Empfänglichkeit bis zu den Schulterblatt-Spitzen und bis zum Brustbein weiterzuentwickeln verursacht ein Erleben von Autonomie im Schulterbereich, die nach und nach zu größerer Abstimmung, Integration und Koordination aller Körperstrukturen inklusive der Muskeln und Sehnen führt.


So kann dieser Bereich zu einem schwebenden Kreisverkehr werden, der all unsere Bewegungen und Aktivitäten durch Freiheit und Balanciertheit unterstützt.


Anwendung 1:  Den Schultergürtel finden


1. Sag „Hallo" zu Dir in Deinem Schultergürtel (Vielleicht willst Du ihn Dir wie einen Umhang beim Friseur oder ein Lätzchen vorstellen. Anatomische Zeichnungen sind hier auch sehr hilfreich.).


2. Frage Dich mittels Deiner sensorischen Neugierde einfach: "Was bringt meine Arme mit meinem Oberkörper zusammen?" und warte darauf, welche Antwort Deine sensorische Selbstwahrnehmung Dir liefert.



Anwendung 2:  Die Schultern schweben lassen


1. Setze Dich spontan in einem bequemen Sessel und schaue, in welchem Verhältnis sich Deine Arme, Hände, Schultergürtel und oberer Rücken zueinander positioniert haben.


2. Beobachte jetzt genau, was in diesem gesamten Bereich passiert, wenn Du jetzt eine Deiner Hände mit den Handflächen nach unten auf Deinen Oberschenkel bringst.


3. Beobachte den Unterschied zwischen beiden Seiten, auch in Bezug auf die Anbindung zwischen Hand und Rücken.


4. Bring jetzt die Aufmerksamkeit auf den Verbindungsweg durch die Knochen, vom Oberschenkel unter der Handfläche ausgehend, in Richtung Schultergelenk. Schaue dann, was ausgelöst wird, wenn Du Dich dafür entscheidest, Deinen Armen und den Informationen in den Handflächen Zugang und Empfänglichkeit im Schultergürtel anzubieten.


5. Erlaube neugierig alle Richtungen, Auftriebs- und Veränderungsimpulse, die durch diesen Prozess in der Schulterstellung ausgelöst werden. Falls die Reizung durch die aufgescheuchten Gewohnheitsmuster nicht zu stark ist, kannst Du die Hand etwas näher zu Leiste bringen.


6. Entscheide Dich für diese nach oben und innen gerichtete Loslass-Richtung und schaue auch, welche Auswirkungen es auf Deinen Atem hat.


7. Vergleiche noch mal beide Seiten und falls Dir das sicherlich etwas aufgebockte Gefühl, das mit dem Auftrieb der unterstützten Seite einhergeht, nicht unangenehm ist, führe die Anweisungen 2 - 6 auch auf der anderen Seite durch.


8. Empfange alle Informationen aus den Händen und Armen weiter in Deinem Schultergürtel und genieße den Auftrieb, während Du aufstehest und los spazierst.


9. Genieße die neue Verbundenheit zwischen Händen und Rücken und die Stellung und Ausrichtung Deines Schultergürtels. Schaue der neuen Gesamtkoordination zu und erfreue Dich daran, wie der Schultergürtel über dem Brustkorb schwebt und um die Wirbelsäule kreist, während Du einige Minuten durch den Raum gehst.